Auf dem Weg zum weißen Stein
Die Route, die ich mir ausgedacht habe, ist circa 14 Kilometer lang und führt durch den nah liegenden Grenzwald.
Heute wollen wir eine Rollstuhlwanderung von Kaldenkirchen bis zum weißen Stein unternehmen. Der weiße Stein ist eine ehemalige Richtstätte. An diesem Ort, wo vor vielen Jahren über Leben und Tod entschieden wurde, befinden sich heut zu Tage 2 Ausflugscafes, ein “Tante Emma Lädchen” und ein Campingplatz. Außerdem signalisiert genau hier eine Barriere den Grenzübergang zu den Niederlanden.
Für unsere Reise sind wir bestens ausgerüstet. Zu unserem Inventar gehören eine Rolle Klopapier, etwas zu Trinken und zu Essen, 2 Regenschirme, Flickzeug für den Rollstuhl, eine große Luftpumpe, ein Pulli, eine leichte Jacke und nicht zuletzt noch zwei Krücken.
Erster Zwischenstop nach 500 Metern. Der Pulli kommt zum Einsatz.
Nachdem wir die Wetter geschützten Häuserzeilen von Kaldenkirchen verlassen haben, befinden wir uns auf freiem Feld. Der Wind macht sich bemerkbar, und der Sommerpulli kommt zum Einsatz.
Die Spargelernte ist vorbei, und man lässt den Spargel zu hohen Büscheln wachsen. Ganze Felder davon säumen den Weg. Im späten Herbst werden sie dann so wie die Blätter ganz bunt.
Im hübschen Kontrast zu den grünen Spargelfeldern stehen die ockergelben Getreidefelder. Sie sind frisch gemäht worden, und überall duftet es danach.
Bis zum windgeschützten Wald sind es ungefähr zweieinhalb Kilometer. Der Asphaltweg, auf dem wir uns gerade befinden, führt bis dorthin. Später wird er dann in einen Waldweg übergehen.
Gabi und ich wechseln uns mit dem Schieben des Rollstuhls ab. Ich nutze die Gelegenheit, mir eine Zigarette zu kurbeln um sie dann genüsslich zu rauchen.
Mein Vater raucht schon lange nicht mehr. Stattdessen lutscht er ein Bonbon. Das ist auf jeden Fall gesünder!
Die Farben Grün und Ockergelb begleiten uns bis zum nahliegenden Grenzwald.
Birken, die wie Zinnsoldaten in Reih und Glied stehen, prägen nun das Landschaftsbild. Sie sind Bestandteil der vielen Baumplantagen in unserer Region. Zählt die Firma Lappen doch zu den größten Baumschulen Europas!
Wir laufen zielstrebig auf eine Ansammlung von Bäumen zu. Wie eine Wand baut sie sich vor uns auf. Man könnte meinen der Wald liege vor uns.
Tatsächlich ist es aber nur ein Grünstreifen in der Landschaft. Unser Asphaltweg schlängelt sich s-förmig unter einem Dach von Blättern.
Kurz danach haben wir den abwechslungsreichen Grüngürtel passiert, und ein neues Bild prägt nun die Landschaft um uns herum.
Baumkronen mit knorrigen Ästen überdachen den Weg.
Unser Weg führt an einigen Pferdekoppeln vorbei. Mein Vater ist fasziniert von den edlen Geschöpfen, die sich neugierig am Weidezaun versammelt haben.
Überhaupt, ohne Gänse, Kühe, Schafe und Pferde ist der Niederrhein unvorstellbar. Die Tiere gehören einfach mit in die Landschaft und prägen das Bild!
Fasziniert betrachtet mein Vater die Pferde am Zaun.
Bis zum Grenzwald im Hintergrund ist es nicht mehr weit.
Wir erreichen das Galgenvenn. Dieses kleine Hochmoor ist eins der letzten in der Gegend.
Von einem Aussichtplatteau aus haben wir einen schönen Überblick über diesen wertvollen Feuchtbiotop.
Zeit für eine kleine Stärkung in Form von Keksen und einem Schluck Hagebuttentee.
Das ist aber auch nötig, denn der folgende Nebenweg ist mühsam. Müssen wir doch mit dem schweren Rollstuhl über sandigem Boden.
Es geht weiter! Wie ein Regenwurm schlängelt sich der Pfad durch das kniehohe Gras. So schön der Weg auch ist, so anstrengend ist er für uns.
Die schmalen Rollstuhlreifen graben sich tief in den Sand, und ich muß das Gefährt rückwärts ziehen. Damit habe ich es besser unter Kontrolle.
Erste Schweißperlen stehen auf meiner Stirn. Bis zum Hauptweg sind es vielleicht noch 500 Meter. Danach wird das Schieben leichter, da der Boden hier fester ist. Endlich haben wir es geschafft!
Gabi löst mich ab, und ich habe die Möglichkeit etwas zu verschnaufen. Mein Vater nickt zwischendurch immer wieder ein. Schuld daran ist das monotone Holpern auf dem Waldboden.
Eine Sitzbank taucht auf, und wir legen eine zweite Pause ein. Gleich verlassen wir den Hauptweg wieder, denn auf die Dauer ist er zu langweilig. Einfach zu gerade und zu breit!
Ein verwitterter Grenzstein zeigt an, das hier die Grenze verläuft. Ab hier gehen wir auf niederländischer Seite. Mein Vater ist darüber erstaunt, wie leicht man heutzutage ohne Kontrolle politische Grenzen überschreiten kann.
Durch hohes Gras schlängelt sich der schmale Pfad.
Auf niederländischer Seite geht unser Weg weiter.
Als eine wahre Rollstuhlralley entpuppt sich der weitere Verlauf bis zur dritten erlösenden Pause. Ich bin total geschafft, und mein Vater schmunzelt darüber. Für ihn war es bis hierhin allerdings auch nicht leicht.
Es geht weiter, und es folgt wohl der schwierigste Streckenabschnitt. Skeptisch betrachte ich den Verlauf des sandigen Weges, der nun steil in Kurven nach unten führt. Zum ersten Mal werde ich unsicher, und auch mein Vater fragt mich zweifelnd, ob wir da wohl runter kommen. Aber jetzt im letzten Drittel aufgeben?
Mit Gabi gehe ich den kompletten Weg bis nach unten ab, und wir studieren genau seine Beschaffenheit und seine Tücken. Hier müssen wir nach links wechseln. Da müssen wir uns ganz weit rechts außen halten. An
umkippen. Gabi bietet mir Abstützhilfe an. Ok, wir machen es! Langsam und vorsichtig bugsiere ich den Rollstuhl im Rückwärtsgang nach unten.
dieser Stelle geht es genau zwischen 2 Furchen durch die Mitte. Das könnte klappen! Angst habe ich trotzdem, denn der Rollstuhl samt meinem Vater könnte
Der erste, sandige Teil wäre geschafft! Wir stoßen auf einen Hauptweg, der
weiter im spitzen Winkel nach unten führt. Noch 1oo Meter Angststrecke, und wir haben es geschafft! Auch bei meinem Vater spiegelt sich die Erleichterung im Gesicht wieder. Ab jetzt geht es nur noch über einen festen
ebenen Weg bis zum weißen Stein. Dicht führt er an den Steilhängen vorbei, begleitet von Spargel, Mais und Zuckerrübenfeldern auf der anderen Seite. Zwischen grünem Dickicht schimmern bunte Sommerschirme, und wir hören Stimmen von Menschen, die an Tischen sitzen bei einer Tasse Kaffee und einem Stückchen Kuchen. Gleich haben wir unser Ziel erreicht. Wir freuen uns schon auf ein kühles Glas Bier. Das haben wir uns verdient. Oder?
Es geht auf sandiger und buckeliger Piste immer weiter hinunter bis ins Maastal.
Trotz aller Anstrengungen war dieser Ausflug ein schönes Erlebnis.
Das Terrain verändert sich, und es wird moränig. Unser Weg geht bergauf. Der Bodenbelag wird auch immer schlechter. Ich manövriere den Rollstuhl über querliegende Baumwurzeln und jongliere ihn an Schlaglöchern und tief liegenden Furchen vorbei. Die Anspannung ist nicht nur auf meinem Gesicht geschrieben.
Wir befinden uns jetzt am Hang vom Maastal. Vor vielen Jahren mäanderte die Maas unterhalb der 40 Meter tiefen Steilböschung entlang. Davon übrig geblieben ist ein sehenswertes Stück Wildnis mit Feuchtbiotopen.
Unser nächstes Etappenziel ist die so genannte Schlucht. Dort lädt eine Wanderhütte zum Pausieren ein.